Warum ist das Sofa politisch?
Das Private ist politisch – das wussten schon viele feministische Kämpfer*innen vor uns. Diese Aussage umfasste so viel: Wie sollte die Verteilung im Haushalt aussehen, wer sollte das Geld verdienen und wer bei den Kindern zu Hause bleiben. Welche Stereotype sollten gebrochen oder erhalten werden. Während viele FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-binäre, Trans*, Agender) mehr und mehr Rechte erstritten und erstreiten, ist das Privatleben vieler Menschen noch immer sehr heteronormativ gestaltet.
Seit der Pandemie sind wir gezwungen uns in das Private zurückzuziehen und unser Umfeld wird sehr beschränkt: die eigenen vier Wände, die eigene Familie, Partner*innen. Durch diesen Umstand werden viele soziale Ungerechtigkeiten offensichtlich, von denen viele Menschen sicher dachten, sie seien Probleme der Vergangenheit. Die häusliche Gewalt steigt an, ohne Wohnung ist Selbstisolation nicht möglich und alte Rollenbilder zeigen sich wieder.
Das Private ist nicht weniger politisch, wenn wir solidarisch auf dem Sofa sitzen bleiben und uns und andere schützen. Nach zwei Jahren Pandemie sehen wir also: Das Sofa ist politisch! Dabei muss aber auch deutlich werden, dass Sofas nicht für alle Menschen der Wohlfühlort zum Ausruhen sind. Während einige entspannt darauf sitzen, haben andere viel Arbeit es sauber und gemütlich zu halten. Nicht alle Menschen können sich auf ihrem Sofa sicher und geborgen fühlen. Nicht alle haben ein Sofa, geschweige denn einen Ort an dem es stehen könnte. Solidarität muss mehr sein, als zu Hause bleiben – besonders jetzt müssen wir uns für die stark machen, die zu oft übersehen werden und vom kapitalistischen System strukturell benachteiligt werden.
Wer räumt das Sofa auf?
Die Pandemie hat den Lebensmittelpunkt vieler Menschen nach Hause auf das Sofa verlagert. Was für manche ein Ort zum Entspannen ist, ist für viele FLINTA* der Ort unsichtbarer, unbezahlter Arbeit. Care Arbeit ist Sorgetätigkeit und unersetzlich für menschliches Zusammenleben.
Dass diese Arbeit vor allem von FLINTA* geleistet wird, ist kein Zufall. Oft werden angeblich ‚biologische Tatsachen‘ aufgeführt, warum FLINTA* diese Arbeit besonders gut machen und dafür kaum Lohn brauchen: Sie kümmern sich gerne; das liege am Mutterinstinkt; oder ganz platt: „Sie hat es gern ordentlicher als ich und sieht mehr, was gemacht werden muss.“
Diese Zuschreibungen verhindern Emanzipationsbewegungen. Kapitalismus und Patriarchat schaffen Bedingungen, die das Streiken fast unmöglich machen. Vor allem, wenn die Sorgearbeit in die heteronormative Kleinfamilie eingebunden ist. Kleine Kinder und kranke Eltern können nicht sich selbst überlassen werden. In Berufen, die eng mit Sorgetätigkeiten verknüpft sind, arbeiten zu großen Teilen FLINTA*. Erschöpfte Kolleg*innen und Patient*innen im Sorgebereich dürfen nicht allein gelassen werden.
Wir sehen und benennen Care Arbeit, wir sehen und benennen die Erschöpfung und Ausbeutung. Wir sind solidarisch mit streikenden Kolleg*innen und sehen diejenigen, die am Streiken gehindert werden. Wir bleiben heute auf dem Sofa sitzen, die Küche kann jemand anderes machen.
Wer ist sicher auf dem Sofa?
Auf Händen getragen, mit Füßen getreten. Häusliche Gewalt beginnt damit, dass eine Person Stück für Stück die Kontrolle über die*den Partner*in übernimmt. Persönlicher Freiraum wird eingeengt. Kontakte außerhalb der Beziehung werden seltener, bis hin zur sozialen Isolation. Es folgen Beschimpfungen und verbale Erniedrigungen, wenn willkürlich aufgestellte Regeln nicht befolgt werden. Häufig kommt es anschließend auch zu körperlicher Gewalt. Diese Gewalt reicht bis zum Mord – zum Femizid.
Oftmals suchen die Betroffenen die Schuld bei sich selbst. Denn Täter sind gut darin, die Gründe ihrer Wutausbrüche auf die Opfer zu schieben. Doch der Täter allein ist für seine Taten verantwortlich!
Häusliche Gewalt geht uns alle an. Häusliche Gewalt ist kein Problem von einer bestimmten Klasse, Kultur oder Herkunft. Betroffene sind meistens Frauen und Kinder. Laut Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird etwa jede vierte Frau mindestens einmal Betroffene*Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Differenzierte Zahlen für FLINTA* werden nicht erhoben. Häusliche Gewalt passiert oft im Verborgenen. Das bietet dem Täter Schutz und liefert die Betroffenen weiter ihren Peinigern aus. Wir sprechen über das Thema, um Licht ins Dunkel zu bringen. Es ist der erste Schritt, um gegen diese Gewalt vorzugehen
Wer hat überhaupt ein Sofa?
2021 waren mehr Menschen denn je gezwungen ihre Heimat zu verlassen, annähernd die Hälfte davon waren FLINTA*. Zeitgleich verschärfen die EU und Deutschland ihre rassistische Abschottungspolitik und machen es fast unmöglich, sicher nach Europa zu gelangen. Und das, nachdem Europa Jahrhunderte lang Länder kolonialisierte, diese weiterhin ausbeutet und so einen maßgeblichen Teil zu aktuellen Fluchtursachen beiträgt.
Geschlechtsspezifische Fluchtursachen wurden lange nicht als Fluchtgründe berücksichtigt. Wer schutzbedürftig ist und wer nicht, wird oft aus einer cis-männlichen Perspektive definiert.
Auf der Flucht sind FLINTA* sexualisierter Gewalt, Hunger und Krankheit ausgesetzt. Häufig fliehen sie mit Kindern oder älteren Angehörigen und leisten zusätzlich Sorgearbeit. In Lagern an den Außengrenzen ist es FLINTA* mit Kindern kaum möglich, Zugang zu Hilfsmitteln zu bekommen. Und auch nach der Ankunft in Zielländern sind sie oft mit Rassismus konfrontiert, können in Sammelunterkünften Türen nicht verschließen oder keine eigenen Sanitäranlagen benutzen.
Diese Abschottung trägt dazu bei, dass sich die Situation von schutzsuchenden FLINTA* massiv verschlechtert. Wir brauchen jetzt eine Politik, die nicht auf Abschreckung, sondern auf grenzenloser Solidarität und Bleibeperspektiven beruht.
Make the fortress Europe fall, leave no one behind!